Das Turnier
Markgraf Friedrich I. war einst mit großem Gefolge von der Cadolzburg nach Nürnberg gezogen, um an einem Ritterturnier teilzunehmen.
Es fand auf dem Marktplatz statt. Neun Ritter aus dem Gefolge Friedrichs sollten gegen Nürnberger und Augsburger Bürgersöhne kämpfen. Und sogar Friedrich selbst, der ein starker Mann war, dem es nicht an Mut, Gewandtheit und Schnelligkeit fehlte, wollte mitkämpfen
Damit aber die Bürger ehrlich und ohne falsche Rücksichtnahme kämpften, wollte Friedrich nicht als Markgraf erkannt werden und gewandete sich in die gleiche Rüstung wie einer seiner Ritter. Auch sein Pferd stach nicht aus der Menge der Streitrösser heraus.
Das Zeichen wurde gegeben und das Turnier begann. Von der Seite der Markgräflichen ritten zwei gleich aussehende Ritter heran, denen sich ein junger Nürnberger Patrizier aus der Familie Löffelholz entgegenstellte. Löffelholz entschied sich für einen der beiden Ritter, und es gelang ihm, ihn aus dem Sattel zu heben und in den Sand des Turnierplatzes zu werfen. Unverletzt sprang dieser jedoch wieder auf, schwang sich erneut in den Sattel und ritt ein paar Mal um die Bahn, damit jeder sehen konnte, dass ihm nichts fehlte. Dann wendete er, sprengte auf den Löffelholz zu, wieder krachten die Lanzen und erneut lag der Markgräfler Ritter im Sand, aber auch Löffelholz stürzte zu Boden.
Als beide wieder aufgestanden waren, gab der Ritter dem Bürgersohn anerkennend die Hand und lud ihn ein, mit in sein Lager zu kommen, um miteinander Freundschaft zu schließen. Da merkte der, dass es der Markgraf selbst war, den er zweimal in den Sand befördert hatte. Löffelholz bat den Ranghöheren um Vergebung, aber diese Bitte wurde von Friedrich als nicht nötig abgewiesen.
Inzwischen hatten auch die anderen bemerkt, was geschehen war. Niemand wollte mehr mit Friedrich kämpfen, um ihn nicht noch einmal zu beschämen oder sogar zu verletzen. Nur der junge Löffelholz wagte es noch ein drittes Mal. Aber als er nah an den Markgrafen herangeritten war, ließ er sich vom Pferd fallen, obwohl der Markgraf ihn gar nicht mit dem Krönig seiner Lanzenspitze getroffen hatte. Damit hatte er die Ehre Friedrichs gerettet und gezeigt, dass auch ein Bürgersohn sich „höflich“ und nach adeligen Rittertugenden verhalten konnte.
Quelle:
Karl Stritzke: Es war einmal. Nürnberger Sagen und Geschichten, Nürnberg 1955, S. 66
Anmerkung:
Wie auch die Hohe Jagd gehörte die Teilnahme am Turnierwesen zu den Vorrechten des Adels. Die Turnierfähigkeit musste durch Nachweis eines Wappens und Eintrag in eine Turnierrolle nachgewiesen werden, gleichzeitig musste die Familie den Adelstitel schon mehrere Generationen führen.1434 wurden frisch durch Kaiser Sigismund geadelte Nürnberger Bürger in ihrer eigenen Stadt deswegen vom Turnier ausgeschlossen. 1441 richtete Albrecht Achilles in Nürnberg ein Turnier aus, zu dem nur Adelige eingeladen waren.
Nürnberger Bürgern war eigentlich durch eine alte Verordnung des Stadtrates seit 1362 bei Strafe von100 Pfund Hellern sowieso verboten, an Adelsturnieren teilzunehmen.1 Man befürchtete nämlich, dass die Stadt durch die Turnierbeteiligung ihrer Bürger in die Fehden des Adels hineingezogen werden könnte und kritisierte daneben den moralischen Niedergang des Patriziats durch zunehmende „Hoffart“, also Hochmut. Der Stadtrat entgegnete sogar 1436 dem Kaiser Sigismund gegenüber, diese Statuten zum Turnierwesen seien „zu vermeidung von ungunst, hochfahrt und widerwertigkeit und auch damit ein jeder in seinem gebührlichen stande bleib“.2
Aber bereits 1387 waren die Patriziersöhne Nürnbergs auf die Idee gekommen, eine eigene Form einzuführen, dazu zunächst keine auswärtigen Teilnehmer einzuladen, sondern nur Nürnberger Bürger zuzulassen und es auch nicht Turnier, sondern Gesellenstechen zu nennen. Sie hatten die Idee erfolgreich kopiert und imitierten ab jetzt die Turnierformen des Adels. Mehrfach kam es im späten 15. Jahrhundert dann doch zu aufwändigen Turnieren in Nürnberg, bei denen sowohl der umliegende Landadel als auch Nürnberger Patriziat beteiligt war, so z.B. 1454 und 1496.
Aber was genau stimmt an der Sage?
Dr. Norbert Autenrieth und Günter Renner haben den Ursprung der Sage in einem Beitrag in der Cadolzburger Heimatvereinszeitschrift „Der Bleistift“ von 2012 untersucht3: Sie wiesen bereits nach, dass Friedrich I. als Protagonist der Sage nicht in Frage kommt. Da Friedrich als „Markgraf“ (von Brandenburg) angesprochen wird, müsste sich die Begebenheit, falls man ihren wahren Kern in der Beteiligung Friedrichs I. sieht, zwischen 1417 – der Erhebung zum Markgrafen - und 1437, als Friedrich sich aus Altersgründen auf die Cadolzburg zurückzog, abgespielt haben. Tatsächlich erwähnt Schuhmann4, dass die Ehefrau Friedrichs I. bei einem in Nürnberg stattgefundenen Turnier 1434 einen Preis überreicht habe. Friedrich I. war zu diesem Zeitpunkt aber bereits 63 Jahre alt und dürfte nicht mehr aktiv an einem Turnier teilgenommen haben.
Eine andere Möglichkeit wäre die Beteiligung des erstgeborenen Sohnes Friedrich II. (1413-1471), von dem Barthel5 eine sehr ähnliche, aber im Detail doch andere Geschichte erzählt.
Der nächste Kandidat wäre Albrecht Achilles. In seine Zeit fällt das gut dokumentierte Gesellenstechen in Nürnberg vom 28.2.1446. Dieses prunkvolle Turnier der jungen Patrizier fand aus Anlass der Hochzeit von Wilhelm Löffelholz, Sohn des Ratsherrn Hans Löffelholz, mit der jungen Witwe Kunigunda Ebner, geb. Paumgartner, statt. Hier wäre also zumindest der Name Löffelholz im Spiel. Ein Großteil der Elite der Stadt, 39 Reiter, nahm teil. Alle müssen nach Zeitzeugenberichten prunkvolle „hohe“ Sättel benutzt sowie Helme mit Helmzier und Wappenschilde getragen haben. Albrecht Achilles ist aber als Teilnehmer nicht genannt.
Das Geschehen wurde zunächst von einem der Teilnehmer, Berthold Volckamer, als Malerei in Auftrag gegeben und beim Neubau des Rathauses 1621 als lebensgroßes Relief an einer Decke im 2. Stock als Gipsrelief festgehalten. Das Relief wurde im 2.Weltkrieg zerstört und existiert nur noch in Abbildungen.

Nürnberger Gesellenstechen 1446, Detail mit Löffelholz (li) und Starck (re), Aufnahme von 1927
Quelle: https://www.nuernberg.museum/projects/show/1188-gesellenstechen
Der Ritter, mit dem der Bräutigam Wilhelm Löffelholz auf diesem Relief die Lanze bricht, ist durch sein Wappen als der Bürgersohn Ulrich Starck erkennbar. Zusätzlich ist auch ein Geharnischter, der auf die Kämpfenden aus dem Hintergrund kommend zureitet, zu sehen6. Die Vorderhufe seines Pferdes sind unter denen der Turniergegner deutlich erkennbar. Die erhobene Hand lässt vermuten, dass er die Funktion eines Turnierrichters innehatte, denn er trägt keine Lanze. Wenn man den Dazukommenden als inkognito agierenden zollerischen Markgrafen aus der Sage auffasst, könnte ihr bildlicher Ursprung hier liegen, zumal, wie in der Sage, drei Kämpfer beteiligt sind. Jahrhundertelang war das Relief öffentlich präsent und könnte allerlei Turniergeschichten initiiert haben.

Zeichnung des Gesellenstechenreliefs nach der Radierung von Philipp Walters, aus: Ernst Mummenhoff, Das Rathaus in Nürnberg, Nürnberg 1891:
Der dritte Kämpfer wurde jedoch schließlich anhand seines Wappens der Familie Elwanger (siehe Graphik) zugeordnet, und die Teilnehmerliste von 1446 enthält in diesem Fall auch nur ausschließlich Mitglieder des Nürnberger Patriziats. Erstaunlicherweise ist in den Jahren 14517 und 14548, kurz nach dem von Albrecht ausgelösten 1. Markgrafenkrieg gegen Nürnberg, aber die Teilnahme des Cadolzburger Markgrafen Albrecht Achilles an Nürnberger Turnieren mit auch bürgerlichen Teilnehmern der Nürnberger Oberschicht verbürgt. Man könnte fast meinen, dass hier die Kriegsereignisse in spielerischer Form nachgestellt wurden. Nur leider befindet sich bei diesen beiden Treffen nun wieder kein Angehöriger der Familie Löffelholz dabei.
Nach Ausschluss von zwei Friedrichs und einem Albrecht konnte man dem Kern der Sage dann doch noch näher kommen.
Der „richtige“ Friedrich der Sage dürfte in Wahrheit Friedrich V., „der Ältere“ (1460-1536) von Brandenburg Ansbach gewesen sein. Laut Thomas Zotz9 handelt es sich bei dem der Sage zugrundeliegenden Ereignis um ein sehr spätes Ritterturnier, das in Nürnberg zur Zeit Kaiser Maximilians I. erst im Jahre 1496 am Dreikönigstag stattfand. Die Beteiligten waren Markgraf Friedrich, Sohn von Albrecht Achilles, mit 9 adeligen Begleitern und auf Nürnberger Seite der Ritter Dietrich von Harras mit Nürnberger Bürgern, unter denen sich als Vertreter der Familie Löffelholz der Techniker und Buchautor Martin Löffelholz von Colberg befand. Über die Vorgänge berichtete der Nürnberger Stadtchronist Müllner.10 Demnach gibt die Sage bis auf den falschen Friedrich die Ereignisse recht genau wieder, so dass man hier eher von einer anekdotenhaft ausgeschmückten Episode der Stadtgeschichte sprechen kann.
Das Turnier war denn auch wohl als Friedensangebot Nürnbergs gedacht. Friedrich V. versuchte in den 90er Jahren des 15. Jh. immer noch, die Ansprüche seines Vaters gegenüber den Nürnbergern hinsichtlich eines erweiterten Gerichtsrechts des Burggraftums durchzusetzen. Kurz bevor es zu einem erneuten Krieg darüber kommen konnte, wurden die Streitigkeiten durch eine Vermittlung durch den von beiden Parteien akzeptierten Herzog Albrecht von Sachsen und den in seinen Diensten stehenden Amtmann Dietrich von Harras gelöst. Am Dreikönigstag 1496 stimmten beide Parteien einem entsprechenden Vertrag zu. Als Folge wurde Friedrich mit seinem Hof zu Festlichkeiten rund um die Fastnacht 1496 nach Nürnberg eingeladen, wo als Höhepunkt das bewusste Turnier stattfand. Da durfte es natürlich zu keinem Eklat kommen, und die Tatsache, dass die Nürnberger sich auch in den Sand fallen ließen, wenn Friedrich „sattelräumig“ wurde, war ein Manöver, der zur Beendigung des Konflikts ohne Gesichtsverlust des Markgrafen nötig war.

Markgraf Friedrich der Ältere, Ausschnitt aus dem Dreikönigsaltar Kloster Heilsbronn
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_V._
Weiter Quellen:
- Georg Wolfgang Karl Lochner, Philipp Walther: Das Nürnberger Gesellenstechen von 1446 nach der im obern Gange des Rathhauses befindlichen Stukko-Abbildung, Nürnberg 1845, S.10, digitalisiert in https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-MDZ-00000BSB10380512
- Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg, Teil 2, 1623, bearbeitet v. Gerhard Hirschmann 1984, S. 304
- Norbert Autenrieth, Günter Renner: Friedrich I. (1371-1440) und Albrecht Achilles (1414-1486) im Lichte der Sage, in „Der Bleistift“, Heimatblätter des Heimatvereins Cadolzburg und Umgebung e.V., Cadolzburg 2012
- Günther Schuhmann: Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, Ansbach 1980, S. 30
- Otto Barthel: Nürnberg. Heimatgeschichtliches Lesebuch, Nürnberg 1957
- Lochner, Walter S. 17
- Nürnberger Chronik von 1400-1500, StAN Rst. Nürnberg, Handschriften 453, digitalisiert in www-p.archivportal-d.de
- Thomas Zotz: Adel, Bürgertum und Turnier in deutschen Städten vom 13.-15-Jh., in Josef Fleckenstein: Das ritterliche Turnier im Mittelalter, Göttingen 1986, S. 471, digitalisiert in: mgh-bibliothek.de
- Ebenda S. 472
- G.W.K. Lochner: Markgraf Friedrichs von Brandenburg Besuch der Stadt Nürnberg im Jahre 1496, Anzeiger des GNM, NF. 15,1868,Sp 32ff,73 ff.